Wie kam Dietrich Schwanitz zum Salmen?

Mit Dietrich Schwanitz und Hartheim ist es fast so zugegangen wie beim zufälligen Treffen einer Nähmaschine und eines Regenschirms auf dem Seziertisch - womit der Dichter Lautréamont die gültige Formel für den Surrealismus prägte. Wenn schon nicht surreal, so doch höchst ungewöhnlich war die Begegnung des zuletzt in Hamburg lehrenden Anglisten und Bestsellerautors ('Der Campus“, ‘Bildung') mit dem ehemaligen Gasthaus Salmen im Jahr 2001:

Schwanitz, der in Freiburg studiert hatte und damals in Hartheim zur Untermiete wohnte, verliebte sich in den Theatersaal des Salmen, der seit den siebziger Jahren verwaist war, als man im Dorf den Fortschritt in einer Mehrzweckhalle sah. Kurz entschlossen erwarb er das weiträumige Anwesen in der Ortsmitte, das leer stand, seitdem auch der in ihm eingerichtete Tante-Emma-Laden tödliche Konkurrenz am Ortsrand bekommen hatte. Im Theatersaal verwirklichte der Shakespeare-Verehrer seinen Traum: ein Wandgemälde mit dem Personal der Dramen des für ihn größten Dichters aller Zeiten. Die Heidelberger Malerin Andrea Berthel pinselte in 1000 Stunden Veroneses 'Abendmahl' in der Version von Dietrich Schwanitz auf die Rückwand des Saals. 2002 war das Prachtfresko fertig – um das herum der Herr des Hauses ein Kulturzentrum der besonderen Art einrichten wollte: dem großen Shakespeare zu Ehren, dem in Hartheim ein einmaliges Denkmal zuteil geworden war. 

Dann aber starb Dietrich Schwanitz im Dezember 2004 im Salmen: Er litt. wie erst nach seinem Tod bekannt wurde, an der schweren Nervenkrankheit Chorea Huntington‚ die zu einem am Ende letalen Kontrollverlust über den Bewegungsapparat f‌ührt.


Damit beginnt die zweite Geschichte des Salmen, die vom eigenwilligen, von vielen Hartheimern mit Misstrauen beäugten "Salmen"-Besitzer zurück zur Dorfgemeinschaft führt. Nachdem die Gemeinde das Gebäude von Schwanitz’ Witwe zurückgekauft hatte, gründete sich 2008 ein Verein – nicht  von Schwanitz-Anhängern, sondern aus dem Herzen Hartheims: Es war der alteingesessene Zimmermann und Hobbydichter Rolf Imm, der mit einem Mundartgedicht den Gemeinderat vom notwendigen Erhalt des Salmen überzeugte. 

 

Mit 500 000 Euro aus dem Landesprogramm zur Förderung des ländlichen Raums und der in ehrenamtlichem Großeinsatz sich niederschlagenden Begeisterung der Vereinsmitglieder wurde ab März 2010 in nur einem Jahr aus der Schwanitz’schen bohémehaften Wohnbaustelle ein solides Gehäuse: mit einem neuen Anbau, der über Treppen und Lift zum Shakespeare-Saal führt; mit dem so mühe- wie liebevoll restaurierten, 1767 erstmals erwähnten historischen Zunftlokal der Fischer -  Rolf Imm persönlich verlegte, er hat sie gezählt, 3576 Parkettbohlen -; mit der Herrichtung des mediterran wirkenden Gartens samt Scheunenanbau und Gerätehäuschen; mit – last , but not least –   einem  Raum neben dem Saal, der Werk und Wirken von Dietrich Schwanitz dokumentieren soll.   (-> zum Gedenkraum)


Lange wurde die künftige Gedenkstätte beherrscht von einem Riesenfoto mit Schwanitz und seinem Fresko – und den Stofftapeten, die der Mann, der von sich sagte: Ich kann handwerklich nichts, aber deshalb macht es mir viel Spaß, einfach an die Wände genagelt hatte. Edmund Weeger, Archivar von Hartheim, Pfaffenweiler und Ebringen und Gründungsmitglied des Vereins, graust es heute noch, wenn er an die unorthodoxe Aufhängmethode des Wissenschaftlers zurückdenkt.

 

Auf dem Wandbild, das in barocker Manier Romeo und Julia, Othello und Desdemona, Hamlet und Ophelia, eine sehr freizügige Titania samt Esel und noch manch andere Figur aus dem Kosmos des Dichters um eine üppige Festtafel versammelt, hat die Malerin auch den Auftraggeber verewigt. Hinter einer Säule schaut er skeptisch, aber auch neugierig hervor: Und der elisabethanische Kragen kleidet den unorthodoxen Philologen, der bis zum elften Lebensjahr bei Mennoniten lebte, durchaus.

 

"Ohne dieses Bild wäre der Salmen nicht mehr da", sagt Edmund Weeger, den alle Eddy nennen. Und also hat Dietrich Schwanitz, der für viele Einheimische ein Spinner war, den Hartheimern das gastliche Zentrum ihres Orts zurückgegeben. Der Retter eines Stücks Dorfgeschichte im Namen Shakespeares: Das hätte Schwanitz gut gefallen. Die Solidargemeinschaft, die er nach seinem Umzug aus der Hansestadt aufs badische Dorf eloquent beschworen hat: Sie ist bei der Rettung des Salmen Wirklichkeit geworden. Über 400 Mitglieder zählt der Verein inzwischen. Seit der Wiedereröffnung des Salmen am 22. Mai 2011 ist die Gaststätte jeden Sonntag ab dem späten Nachmittag (17 Uhr) bewirtet. Alle, die hier mitarbeiten tun dies gerne – und natürlich ehrenamtlich.

Wie viele kostenlose Arbeitsstunden schon im Salmen stecken: Keiner der Beteiligten möchte sie zählen. Mit 100.000 Euro wurde die Eigenleistung des Verein veranschlagt: inzwischen ist es viel, viel mehr, wissen die Mitglieder.

 

Und noch ist kein Ende in Sicht, denn es gibt noch einige Pläne, die auf Umsetzung warten ...

 

... was noch werden soll.